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Fünftel soviel Bevölkerung aufzuweisen hat. Aber mit dieser letzten
Beurteilung, die doch einigermaßen den Vorwurf eines gewissen
Phlegmas in sich schließt, läßt sich das neuerdings hervorgetretene
koloniale Geschick der Franzosen und ihr bewundernswerter Eifer,
vorwärts zu kommen, nicht recht zusammenreimen. In Afrika haben
die Franzosen gerade in der letzten Zeit Staunenswertes geleistet.
Fast der ganze nordwestliche Teil des Erdteils fällt jetzt in den Ve-
reich der französischen Machtsphäre, den Negern erscheint der franzö-
fische Kulturpionier schlechthin als der Mensch aux eperons verts,
als der Mensch, der Wasser, Regen und Gedeihen bringe, und viel-
leicht erleben wir noch die Zeit, wo das Dampfroß von Algier aus
durch die Wüste eilt, um die neuesten Erwerbungen der Franzosen
am Tschadsee und im Sudan aufzusuchen und der europäischen Kultur-
sphäre anzugliedern. Wir können also durchaus nicht sagen, daß
Frankreich heute schon den Eindruck des Greisenhaften macht; es be-
hauptet noch immer mit Energie seine Stelle in dem Rate der Völker.
Wir haben oben ältere Urteile aus der antiken Zeit in ihrer
Stichhaltigkeit auf die heutigen Zustände geprüft und verglichen.
Desgleichen ist es interessant, Schilderungen von Land und Leuten
in Frankreich aus einer allerdings bedeutend jüngeren Zeit, die aber
doch im Verhältnis zu heute bedeutend zurückliegt, zur vergleichenden
Betrachtung heranzuziehen. Es sind dies die Reiseschilderungen, die
Ernst Moritz Arndt gerade vor hundert Jahren über Frankreich und
die Franzosen niederschrieb. Natürlich haben sich die äußeren Kultur-
Verhältnisse gewaltig geändert. Arndt benutzte zu seiner Reise das
Segelschiff und die Diligence, wo heute König Dampf über aller
Reisegelegenheit unumschränkt sein Scepter schwingt. Aber das ist
ja auch Nebensache; die Beschreibungen des Landes Nizza, das er
im März durcheilte, sind wundervoll, man könnte sagen, in ihrer
Art klassisch, ebenso die der Provence, das er die Region der Nachti-
gallen nennt, mit ihrem schönen, muskulösen Menschenschlage, der sich
auch heute noch im Seewesen auszeichnet. Sehr wichtig sind ferner
die socialen Bilder aus Paris, die in dem Werke einen breiten Raum
einnehmen, und überall sind die feinsten und treffendsten Urteile ein-
gestreut. So will Arndt die Franzosen gerade nicht zu den schönsten
Volksstämmen zählen, aber bezaubernd seien doch der Chic und die
Grazie der Französinnen. Man sieht, wie anregend auch noch für
unsere Tage die Urteile und Beobachtungen eines so geistvollen
Mannes wirken können, und diese Parallelen zwischen einst und jetzt
führen uns mehr in das Verständnis eines fremden Volkstums, als
wenn wir uns immer nur auf die oft sehr oberflächlichen Bemer-
kungen heutiger Touristen verließen.
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Extrahierte Personennamen: Ernst_Moritz_Arndt Ernst Arndt
Extrahierte Ortsnamen: Afrika Algier Tschadsee Frankreich Frankreich Frankreich Nizza Paris
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herbeigeschafft von ungeheurer Größe und Schwere; als er aber an Mar
und Kanzel erkannt, daß es ein Gotteshaus werden solle, und nicht ein
Spielhaus, wie ihm der Baumeister, um seiner Hülfe gewiß zu sein, ein-
geredet, da habe er im Grimm unter schrecklichen Flüchen einen großen
Stein, den er eben in den Klauen gehabt, zu Boden geworfen, und das
sei der Stein hier, der Teufelsstein. Vielleicht hat er den heidnischen
Vorfahren als Opferaltar gedient, und daher der Name Leg gen stein,
d. h. Lügenstein. Heute ist er nichts weiter-mehr, als ein Spiel- und
Kampfplatz für das lustige Kindervolk.
§ 6. Andere Kirchen.
1. Die Liebfrauenkirche im Westen des Domplatzes, so genannt
zu Ehren der Jungfrau Maria, unsrer lieben Frauen, wie es in der
alten Sprache heißt, ist nach langem Verfall vor nun 20 Jahren
wieder hergestellt. Sie ist dis reformirte Hofkirche. Von ihren vier
Thürmen sind zwei einfach achteckig, während die beiden andern (östlichen)
viereckig sind und an jeder der vier Seiten einen Giebel haben. Das
Innere ist mit vielen schönen Bildern, Figuren und Blumenzierrath aus-
geschmückt, an der Decke die Propheten mit Spruchbändern. Außen über
einem Fenster an der Ostseite stehen in drei Nischen drei Figuren aus
Stein. Ueber dem Haupteingange sehen wir ein Bilv, auch drei Figuren
darstellend; es ist Maria mit dem Christkinde, zwischen der heiligen Bar-
bara und Katharina. Unweit dieser Thür hängt an der Wand ein Stoß-
degen an einer Kette. Davon erzählt die Sage, es habe einmal auf
einer Burg nahe bei der Stadt ein Ritter gelebt mit seiner Tochter und
mit einem Jüngling, den er bei sich aufgenommen. Und die beiden ge-
wannen sich lieb.' Aber während der Jüngling davon zog, um im heiligen
Lande im Kriege ritterlichen Ruhm zu erwerben, verlobte der alte Ritter-
seine Tochter einem Andern, und da jener heimkam, war eben Hochzeit
auf der Burg. Da ward er sehr betrübt; doch ging er hinauf, und als
er in den Saal trat, da erschraken Alle, die zugegen waren, denn sie
wußten um der Beiden Liebe. Da ihm aber die Braut heimlich ver-
sicherte, daß ihr Herz ihm treu geblieben und nur des Vaters harter Wille
sie zu diesem Bunde gezwungen, da eilte er hinaus und ging in die Lieb-
frauenkirche, daselbst zu beten. Der Bräutigam aber war ihm nachgeeilt
und da er ihn fand, erstach er ihn am Altar. Das Mädchen starb bald
danach vor Kummer, und der Mörder gab sich auch den Tod. Der
Degen aber, mit dem er die Frevelthat begangen, wurde vor der Kirche
aufgehängt, und jedes Jahr, setzt die Sage hinzu, am Tage dieser Un-
that tröpfelt Blut auf die Stelle am Boden unter dem Degen. — Ehe
wir von hier weiter gehen, wollen wir einmal diese Kirche mit der vori-
gen etwas vergleichen. Hier sehen wir an Thüren, Fenstern, Nischen
überall die Form des Rundbogens, am Dom überall den Spitzbogen,
hier finden wir große vierkantige Säulen, aber nichts von den pracht-
vollen, runden, auf breiter Unterlage emporwachsenden, von vielen kleinen
Rundsäulen umstandenen, Riesenbänmeu gleich in reichen Blätterzierrath
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Extrahierte Personennamen: Grimm Maria Maria Maria Maria Katharina
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reich besetzt. Der Norden aber, % des Ganzen, ist sehr unwirthliches Steppen-
land, wie die nordwärts darüber liegende weite Ebene. Auf der Alpe weiden
Tausende von Schafen. Zwischen der Landenge von Perekop und der Halb-
insel Krim westlich das todte, östlich das faule Meer. Das afowsche Meer
friert fast jeden Winter ganz zu und wird selten vor Ende April für die Schiff-
fahrt frei. Die Krim wurde in alter Zeit von selbständigen Königen beherrscht
(kymmerische Könige, Thoas), die Griechen (Milet) schlössen mit ihnen Ver-
trag und Freundschaft und gründeten an ihren Küsten blühende Handelscolo-
nien und übten aus ihren Handel und ihre inneren Verhältnisse eben so
entscheidenden Einsluß, wie nach ihnen im Mittelalter die Genuesen, aber alle
Cultur, die diese wiejene gesäet, wurde später von den großen barbarischen Reichen,
denen die kleine Krim anheimsiel, von dem großen Gothenreiche Hermannarichs,
von den mongolischen und tatarischen Chanen, von den Türken zertreten.
Doch sind Griechen und Genuesen noch heute die Haupthandelsleute der tau-
rischen Häfen, Tataren die Hauptbewohner des Landes. Gehoben hat sich die
Entwicklung des Landes, seit es unter Rußland gekommen. Die Tataren
gehören der kaukasischen Race an. Sie sind von olivengelber Gesichtsfarbe,
haben kleine schwarze Augen, scheeren den Kops, lassen aber den Bart wachsen,
und wer den größten Bart hat, genießt das größte Ansehn. Bei den Frauen
dagegen wird schönes langes Haar sehr geschätzt. Die Mädchen gelten wie
die Heerde als ein Theil des Erbes und werden wie diese unter die Söhne
vertheilt^ Der Vater verkauft seine Tochter, der Bruder die Schwester. Es
herrscht unter ihnen die Vielweiberei. Der tatarische Jüngling muß dem
Vater um seine Braut dienen. Das Rauchen ist dem Tatar der höchste Genuß,
um den er Essen und Trinken gern entbehrt. Auch Frauen und Kinder rauchen.
In den Häusern der Reichen reicht man dem eintretenden Fremden zuerst eine
Pfeife mit Bernsteinspitze, dann setzt man ihm Honig oder geronnene Milch
und Früchte vor. Und das Obst, besonders die Aepsel der unzähligen Obst-
gärten der Krim sind von außerordentlicher Güte. Die Tataren essen mit den
Fingern, ohne Messer und Gabel. In seiner ganzen Eigentümlichkeit erscheint
der Tatar, wenn er zu Pferde sitzend und die mächtige Peitsche schwingend —
der gemeine Mann ohne Sattel und Steigbügel, oft sogar barfuß — pfeil-
schnell über die Steppe sagt. Die Freiheit lieben sie über Alles. Sie sind
ehrlich, wißbegierig und lieben die Musik. Ihren Gottesdienst halten sie in
kleinen runden Bretterhäusern, die nicht mehr als 30 bis 40 Menschen fassen:
da treten sie in einen Kreis zusammen, weinen und schluchzen; am Ende entsteht
ein wahres Wolfsgeheul und dies dauert so lange, bis einer taumelnd zu
Boden stürzt, dann ist der Gottesdienst zu Ende.
Bei Sebastopol, einst einem der prachtvollsten und sichersten Kriegs-
Häsen von Europa, erlitten am 18. Juni 1854 die verbündeten Franzosen,
Engländer, Türken von den Russen eine Niederlage; aber nachdem jene am
8. September die Südhälfte eingenommen und den Malakoffthurm erstürmt,
mußten die-Russen die Festung räumen, die nun eine Ruine ist und nach dem
Pariser Frieden nicht wieder als Seesestung hergestellt werden darf. —
Die Kosaken sind geborene Soldaten. Jeder Knabe erhält bald nach
der Geburt Flinte und Lanze, kaum kann er auf eignen Füßen stehen, so muß
er auf's Pferd, nichts als Kriegsspiele vergnügen seine Kinderjahre, kaum kann
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TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T0: [Meer Insel Halbinsel Küste Ozean Afrika Land Europa Kap Straße], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
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